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Ich, aber früher

„Mama, vazöh ma nu wos von dir“, flüsterst du und deine kleinen Finger zwirbeln die Spitzen meiner Haare. Wir liegen nebeneinander in deinem Bett. Du, mit frisch geputzten Zähnen, sauberem Gesicht und in deinem Planeten-Schlafanzug. Du riechst nach einem langen Tag. Nach Liebe, Abenteuern an der frischen Luft und nach Luuf. Du magst diese alten Geschichten von deiner "Kind-Mama". Oder von deiner "Schul-Mama". Von mir damals, daheim bei Oma und Opa, mit deinem auch noch kleinen Onkel - und von unseren Haustieren, die schon längst alle bei den Wolken sind.

Heute erzähle ich dir von Salzburg. Davon, wie ich dort vor vielen Jahren mit anderen Mädels in einer gemeinsamen Wohnung gewohnt habe, vom Bett aus fernsehen und mit dem langen roten Stadtbus zu ganz vielen verschiedenen Haltestellen fahren konnte. Die Vorstellung davon bringt dich zum Lächeln, deine Augen werden schwer und während du immer tiefer wegtauchst, erinnere ich mich plötzlich ganz genau an diese "Studenten-Mama".

Ich erinnere mich an den billigen Spanplatten-Schreibtisch, auf dem sie ihre Bachelor-Arbeit geschrieben hat. An Studenten-Festl, bei denen alles gratis war, bis der erste aufs Klo ging. Ich erinnere mich an ihr fast noch kindliches Gesicht und viel zu viel schwarzen Kajal (sogar im Innenlid!)

Ich erinnere mich an mich. Meine Unsicherheit. Meinen Kellner-Job und meine erste richtige - und damals wirklich coole - Anstellung beim Radio. Ich blieb dort drei Jahre und traf dabei ein paar meiner engsten Freundinnen.

Eine davon ist heute sogar deine Godi. Ich seh sie und mich auf einem schwindligen Moped auf Bali und in einer fancy-versifften Bar in Kalifornien. Und beim spontanen Tattoowieren. Ich spüre diese Freiheit von damals. Dieses laute und herzliche Lachen von ganz unten im Bauch. Das Gefühl, dass alles möglich ist. Mein früheres "Ich" scheint manchmal so unendlich weit weg – und doch liegt es gerade jetzt in diesem Moment genau hier zwischen uns.

Ich sage geräuschlos, dass ich stolz darauf bin. Dass ich jetzt viel mehr weiß als früher - auch, dass sich alle Zweifel irgendwann auflösen werden. Dass der viele Fleiß belohnt werden wird. Und, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Dass ich ruhig alles genau so machen kann, wie ich es tue. Dass sogar der ärgste Liebeskummer irgendwann vergeht...

Eine weiche Stille liegt in deinem Kinderzimmer. Ich sehe, wie deine "Mama von früher" losgelöst in ihrem Lieblingslokal von damals tanzt. Wie sie textsicher und begeistert mitsingt und dabei so herrlich verantwortungslos und erfüllt ist.

Dein warmer Brustkorb hebt und senkt sich. Deine feinen Wimpern liegen friedlich aufeinander und ich streichle ganz vorsichtig über deine Nasenspitze. So klein wie heute wirst du nie wieder sein. Alls verändert sich dauernd. Nichts ist für immer. Aber Glück ist immer Glück - und jede Zeit hat ihren Zauber.

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