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Einmal Blankziehen

Mein ganzes Leben lang war ich zu geizig für schöne Unterwäsche. Mehr noch: Ich habe überhaupt nicht verstanden, Geld für etwas hinzulegen, das eh (fast) keiner sieht. So trage ich meist – ja, wenn wir schon drüber reden, dann gscheid – einfache, nicht zusammenpassende und mittlerweile auch wirklich sehr unaufregende Unterwäsche.

Ich kombiniere die schlabbrige Beigespitze von oben mit bequemer Baumwolle von unten, das ausgewaschene Schwarz schlägt sich mit dem fahlen Kaugummirosa und was mich einst dramatisch in Form brachte, ist längst totgewaschen und getrocknet. Noch deutlicher: Bei einem meiner BHs sticht der Metallbügel raus und – weil ich hier eben scheißneidig bin – bohrt sich jedes „letzte Mal“ schmerzlich in die Haut unter meiner rechten Achsel. So!

Jetzt bin ich aber in diesem Alter. Ü30, kinderlos und ganz gut entlohnt. Es scheint mir demnach nicht nur an der Zeit, sondern irgendwie auch notwendig das Drunter endlich mal über das Drüber zu stellen.

Darum fahre ich zu Intimissimi.

Ich fiesle an der dünnen Haut neben meinen Fingernägeln. Wie immer, wenn ich überfordert bin. „Darf ich dir helfen?“ navigiert mich eine piepsige Frauenstimme durch den Reizwäscheschlund. Die Person dazu ist hübsch. Sehr viel Make-Up, sehr wenig Gewicht, aber hübsch. „80C, stimmt´s?“

Wie im Affekt greife ich mir auf das obere Drittel meiner Jacke. „Ich suche etwas Klassisches, das zusammenpasst“, erkläre ich nüchtern und etwas beschämt. „Okay, dann nehmen wir das und das hier – oh und das.“ Ich trotte ihr nach. „Magst du rot?“ Ich schüttle den Kopf. Sie nimmt rot.

Dann hängt sie mir alles in eine winzige Kabine mit kaltem Halogenlicht. Mein Spiegelbild verurteilt mich genervt. „Ist jetzt so“, zische ich lautlos und schäle mich aus meinem Zwiebellook. Ausgezogen und bereits maßlos übersättigt vom Aufwand, zwänge ich mich in das erste Spitzenteil. Der Push-Up presst mir alles was ich habe unters Kinn. Ich atme flach und versuche den Bauch einzuziehen. Weihnachten war wirklich ausgiebig... „So, wie schauen wir aus?“ Meine piepsige Gehilfin reisst mit einem Schlag den Vorhang hinter mir auf. Ungefragt, ungeschützt und in der Sekunde frierend stehe ich hilflos und quasi halbnackt mitten im Geschäft. Dann sehe ich in Zeitlupe, wie sie ihre manikürten Hände routiniert gegeneinander reibt. Sie wird doch nicht... „Darf ich?“

Jeder einzelne ihrer zehn Finger fühlt sich an wie ein Steckerleis. Sie wurschtelt, zieht und schiebt an dem Panzerding. „Diese Linie muss hier genau so verlaufen. Und das hier – darf ich? – gehört ein bissl höher. So! Sitzt doch!“

Mittlerweile hat sich eine weitere Kundin mit ihrem einkaufstaschentragenden Mann eingefunden. Mit bester Sicht auf meine entblößte Überforderung.

„Ich hole noch die passenden Höschen. Ich dachte erst M, aber wie ich sehe doch lieber L.“ Ich nicke, schiebe den Vorhang zu und ziehe mich so eilig an, als hinge mein Leben davon ab. Dann nehme alles und trage es zur Kassa. „Wollen Sie die gar nicht mehr probieren?“ versteht meine Assistentin die Welt nicht mehr. Ich verneine roh und zahle. 173 Euro. Für einmal blankziehen und ein bissl Stylerevolution, die eh (fast) keiner sieht...

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