Der Umschlag
Ich sitze vor einem zugepickten, mattweißen Umschlag und erleide Höllenqualen. Und das nur, weil mein Mann Überraschungen liebt.
Aber von vorne.
P. und ich werden Ende des Jahres Eltern und das Baby zieht schon ganz schön an. „So, Frau Magister“, sagt die Frauenärztin. (Der absolut einzige Mensch auf diesem Planeten, der mich mit meinem Titel anredet.) Ich fühle mich also erst gar nicht angesprochen, nachdem wir aber alleine beim Ultraschall sind, muss sie mich meinen. Ich schau auf den Bildschirm und sehe, wie sich ein Mini-Alien mit Händen und Füßen bewegt – in mir! „Möchten Sie wissen, welches Geschlecht das Kind hat?“ Ich lege den Kopf nach rechts, weil ich es ja vielleicht sogar selbst ersehe. Aber keine Chance. „Ja unbedingt!“
Ich bin nicht der Typ Frau, der zur Hochzeit wie eine Prinzessin aussehen wollte oder das Kinderzimmer eines Mädchens rosa streichen würde. Gott bewahre! Auch gewandtechnisch würde es null Unterschied machen, aber irgendwie möchte ich mich auf was einstellen können.
Wenn man schwanger ist, dann ist es ein bissi so, als würde man in einem Boot sitzen, das einfach fährt. Ein schönes Boot – keine Frage. Aber man ist halt nur Passagier, schippert so Welle für Welle dahin und kann nix tun, außer alles anzunehmen. Darum bitte in Gottes Namen sagt mir wenigstens das Geschlecht!
„Ich bin auch schon sehr gespannt“, gebe ich unter meinem rosa Mundschutz zu. Hier an diesem Punkt hätte ich einfach aufhören sollen zu reden. Einmal leise sein. Nix mehr hinzufügen. Schweigen! Aber nein: „Mein Mann wird nächste Woche 30 und sobald ich es weiß, schreibe ich es ihm in einen Umschlag, den er zum Geburtstag öffnen kann.“ Ich nicke mir selbst wohlwollend zu. Was hab ich auch für geile Ideen bitte?
„Oh, das klingt gut“, ist die Ärztin entzückt. „Dann schreibe ich das gleich für Sie beide auf und Sie schauen in einer Woche rein. Gemeinsam.“ Ich schüttle im Affekt den Kopf.
„Achso nein. Ich will das jetzt sofort wissen. Für IHN ist es eine Überraschung.“ Sie lächelt mich mit den Augen an und drückt mir kurz darauf einen Umschlag in die Hand. Dann gibt sie mir Papierhandtücher, damit ich mir das glitschige Ultraschallzeug vom Bauch wische – ich soll mir nur noch den nächsten Termin ausmachen. Im Auto schiele ich auf den Umschlag in meiner Tasche. Zurück im Büro halte ich ihn gegen das Fenster. Daheim hauche ich auf die Lasche, weil er sich dann vielleicht „von selbst“ öffnet. Als P. am Abend heimkommt ist er begeistert, dass ich noch keinen Wissensvorsprung habe. „Ich liebe dich und weiß, wie wichtig dir dein Geburtstag ist. Aber das alles ist nix für mich. Stell dich bitte drauf ein, dass ich ihn aufmache.“ P. nickt gefasst. „Es liegt bei dir, aber überleg mal wie schön es wäre, wenn wir es gemeinsam erfahren.“ Dieser miese Hund! So kriegt er mich und das weiß er! Ich schnaufe aus und nehme den Umschlag mit ins Wohnzimmer. Dort setze ich mich hin und starre ihn an. „Also: Was soll es werden?“ frage ich mich tonlos.
Eigentlich wünsche ich mir nur, dass es gesund und glücklich ist. Und ich heute Nacht bei jedem mal Klogehen aufs Neue meiner zachen Neugierde widerstehe.
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